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Unbekannte Region, aussergewöhnlicher Genuss

Unbekannte Region, aussergewöhnlicher Genuss
Copyright Alice Gundlach

Die Stiefelspitze Italiens ist in der internationalen Weinwelt wenig bekannt. Doch hier lassen sich zwischen Meer und Gebirge reizvolle Entdeckungen machen: frische Weisse und alterungsfähige Rote.

Der Markt für Weine aus Kalabrien war lange Zeit ein rein regionaler. Bis in die 1960er Jahre war es üblich, dass jede Familie einen eigenen Weinberg hatte und für den Eigengebrauch kelterte. Genossenschaften produzierten meist sehr einfache Weine. Grosse und qualitativ hochwertige Erzeuger gab es nur wenige.

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Dann setzte die massenhafte Auswanderung aus Kalabrien ein. Da sie in der abgelegenen, ländlichen Gegend, die dazu von der Mafia korrumpiert war, keine wirtschaftliche Perspektive sahen, zogen viele als Gastarbeiter z. B. nach Deutschland oder in die Schweiz. So kommt es, dass auch viele der italienischen Gastronomen im nordeuropäischen Ausland heute aus Kalabrien stammen.

Es wirkte sich aber auch auf die Weinproduktion in der Region aus. In den 1970er Jahren nahmen zudem viele, die geblieben waren, an Rodungsprogrammen teil, die von der Europäischen Gemeinschaft finanziert wurden. So kam es, dass die Rebfläche, die in den 1960er Jahren noch rund 50 000 ha betrug, heute auf gerade einmal 12 000 ha zusammen geschrumpft ist.

DOC-Bezeichnung? Muss nicht sein

Im Keller von Lento, Lamezia Terme.
Im Keller von Lento, Lamezia Terme.

Auffällig ist, dass in der Region heute viele Weine mit IGT-Bezeichnung statt DOC hergestellt werden. Das hat damit zu tun, dass die Statuten der wenigen DOC-Appellationen seinerzeit oft auf die Bedürfnisse der Genossenschaften ausrichtet wurden.

„Mit den Regeln der DOC Melissa kann man keine aussergewöhnlichen Weine herstellen. Da die Denomination auch keine besondere Bekanntheit besitzt, verzichten wir lieber darauf“, sagt Susanna Ceraudo, Mitinhaberin des Weinguts Ceraudo.

Dem zertifizierten Bio-Weingut ist das Sterne-Restaurant Dattilo in Strongoli angeschlossen, dessen Küche Susannas Schwester Caterina vorsteht. Mit anderen Worten: Exzellenz gibt es heute in Kalabrien sehr wohl, nur eben – noch – nicht mit einem Auftritt, der die Region in den Vordergrund stellt.

Die kalabrische Weinszene ist vielmehr von wenigen grossen Herstellern dominiert. „Nach wie vor gibt es nur wenige Produzenten, die mehr als 100 000 Flaschen pro Jahr herstellen“, berichtet Gennaro Convertini, Präsident des kalabrischen Ablegers der Fondazione Italiana Sommelier (FIS). Und die Topmarken wie Librandi oder Statti werden eher selten mit ihrer Herkunft assoziiert, sondern stehen für sich.

Aus alt mach neu: Autochthones wieder in

Doch seit einigen Jahren tut sich wieder etwas an der Stiefelspitze. Die neue Generation der kalabrischen Winzer, auch und gerade die Kleinen und die Newcomer, besinnt sich auf autochthone Rebsorten, weil sie der Region ein Gesicht verleihen will.

Dazu kommt, dass in dem traditionell auf Rotwein eingestellten Gebiet immer mehr auf Weissweine gesetzt wird. Die Roten geraten in dem heissen Gebiet nämlich oft sehr wuchtig und alkoholreich, die Zeichen stehen derzeit aber eher auf leichten Weissen.

Allen voran etabliert sich gerade die Sorte Greco bianco. „Sie kann sehr mineralisch werden. Neben den Böden trägt dazu auch die Salzigkeit des nahen Meeres bei. Dazu hat sie eine gute Säure und eine leichte Frucht“, erklärt Danila Lento, Produktionsleiterin bei Lento. Das Familienunternehmen, das aus zwei Genossenschaften hervorgegangen ist, verfügt über drei Güter.

„Seriöser Biowein ist die Zukunft“

Der Erzeuger Statti hat Wurzeln, die bis ins 11. Jahrhundert zurückreichen. Bis heute ist er ein Gemischtbetrieb: Neben 70 ha Weinbergen und 350 ha Olivenhainen werden hier auch Zitrusfrüchte angebaut und 800 Kühe zur Milchproduktion gehalten. Derzeit arbeiten Alberto und Antonio Statti an einem Zertifikat für biodynamischen Anbau.

„Seriöser Bio-Wein ist ein Zukunftsthema“, sagt Kellermeister Nicòla Colombo. „Grundsätzlich muss ein Wein ehrlich sein – was draufsteht, muss drin sein.“ Der Importeur Ariane Abayan, Hamburg, beliefert mit den Weinen von Statti nach Angaben von Produktmanagerin Marcella Oggiano überwiegend an die gute bis gehobene Gastronomie.

Besonders gefragt auch hier: Greco bianco. Dem kleinen internationalen Trend zum Ausbau von Weissen im Holz folgt der Hersteller ausserdem mit seinem Mantonico, der in Akazienfässern reift.

Bei Librandi, dem Platzhirsch Kalabriens mit 2,6 Mio. produzierten Flaschen pro Jahr, ist der Bestseller auch ein Weisswein, allerdings aus internationalen Sorten: der Critone ist eine Cuvée aus Chardonnay und Sauvignon Blanc – und schon zur ersten Jahreshälfte sei der aktuelle Jahrgang ausverkauft gewesen, berichtet Verkaufsleiter Raffaele Librandi.

Dennoch, betont er, würden auch bei Librandi hauptsächlich autochthone Sorten angebaut. Und nicht nur das: Das Weingut arbeitet mit dem Forschungsinstitut CNR in Turin bei der Erforschung regionaler Rebsorten zusammen. Dafür stellt es Rebflächen für 200 autochthone Sorten zu Lehrzwecken zur Verfügung.

Rote mit mediterranen Aromen – ohne Holz

Obwohl in der Region der Weisswein-Anteil steigt, wird auch fleissig an der Qualität der Rotweine gefeilt. Etwa in der DOC-Region Cosenza: Hier ist der Magliocco die meistverbreitete Sorte. Viele Winzer hier arbeiten an einem weicheren, eleganten Stil für ihre Weine der Rebsorte. Ätherisch, mit Noten von Lakritze und von der Anmutung her eher kühl sind beispielsweise der San Lorenzo von La Pescheria und der Luigi Quattordici von Chimento, die im Edelstahl ausgebaut werden.

Ähnliche Anklänge, aber bei einem mittleren Körper beschert die Riserva Conca die Valdesi von De Caro, die im Holz reift. Doch auch wer nach wie vor einen sehr vollmundigen Rotwein schätzt, wird hier fündig, etwa beim Weingut Serracavallo, die mit dem „Savuco“ (Dialekt: „Holunder“) einen reifen, saftigen Magliocco herstellen, der trotz kräftiger Tannine weich den Gaumen schmeichelt und tatsächlich Anklänge an Holundersaft hervorbringt.

Dass sich die Zusammenarbeit lohnt, haben die Winzer in der Region Cirò festgestellt. Mehrere Winzerinnen und Winzer haben sich hier unter dem Namen „Cirò Boys“ zusammengetan. In dieser Region dominiert die rote Rebsorte Gaglioppo, die jeder Betrieb ein bisschen anders interpretiert – auch weil die unterschiedlichen Böden am Fluss Lipuda verschiedene Wein-Charakteristiken hervorbringen.

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„Es ist auch einfach, hier biologisch zu arbeiten, weil es so trocken ist und der Pilzdruck entsprechend gering“, erklärt Winzer Francesco Maria di Franco vom Weingut A’Vita. Auch er und seine Mitstreiter stellen ihre Rotweine meist ohne Holz her, trotzdem geraten diese sehr konzentriert und manchmal balsamisch – eben aufgrund des heissen, trockenen Klimas.

Dafür zeigen sie oft Aromen von mediterranen Gewächsen, etwa Estragon oder schwarze Olive. Vor allem aber sind sie ordentlich alterungsfähig – und das wird auch hier in der Region geschätzt. Oder wie Giuseppe Ippolito, Inhaber von Vini Du Cropio, eine alte kalabrische Regel zitiert: „Neues Öl – Alter Wein.“

Über die Autorin

Alice Gundlach arbeitet seit 2005 als Journalistin, seit 2011 ist sie freie Autorin mit den Schwerpunkten Wein und Food. Davor schrieb sie schon als angestellte Redakteurin regelmässig über Weinthemen.

Sie ist spezialisiert auf die Weinregionen Deutschlands und Italiens.

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