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Berühmte Weinlagen – Bernkasteler Doctor

Berühmte Weinlagen – Bernkasteler Doctor
Copyright Weingut Witwe Dr. H. Thanisch – Erben Müller-Burggraef

Seit Jahrhunderten gilt die Mosellage Bernkasteler Doctor als Riesling-Berühmtheit. Angeblich hat der hier erzeugte Wein schon Könige geheilt und politische Wunder vollbracht. Doch ob die Produkte aus dem steilen Hang hinter Bernkastel stets schmackhafter sind als die anderer Mosellagen, kann man diskutieren.

Wer die Geschichte mit dem mittelalterlichen König ernst nimmt, unterschätzt den Einfallsreichtum früherer Romanautoren. Der schwer kranke Kurfürst Boemund soll im 14. Jahrhundert nach Genuss grösserer Mengen Bernkasteler Weines gesundet sein, woraufhin er der Lage den berühmten Namen verliehen habe.

Legende oder Missverständnis

Tatsächlich findet sich für das Märchen nicht der geringste Beleg. Am wahrscheinlichsten ist noch die Vermutung, dass ein gewisser Doctor Heinrich Linden, dem der Weinberg einst gehörte, für die Namensgebung verantwortlich zeichnete; gut möglich, dass die Einheimischen damals einfach von «Doctors Weinberg» redeten.

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Auch viele der übrigen Tatsachen sind bei genauerem Hinsehen eher Geraune und Gerede. Edward VII., britischer König, soll zu Beginn des 20. Jahrhunderts Riesling dieser Lage wie Medizin getrunken haben, während der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer mit Selbigem den Vorsitzenden der KPdSU, Nikita Sergejewitsch Chruschtschow, bezirzt haben soll, auf dass dieser deutsche Kriegsgefangene freigebe. Mag so gewesen sein, muss aber nicht.

Historie und Geschichten

Sicher sind nur wenige Dinge. Etwa die Tatsache, dass Carl Wegeler, Mitinhaber der Sektkellerei Deinhard, im November 1900 etliche Doctorreben zu einem schwindelerregenden Preis kaufte. Genau 100 Mark bezahlte er für einen Quadratmeter im Doctor, zehnmal soviel wie für andere Bernkasteler Weinberge.

Allerdings muss diese Zahl insofern relativiert werden, als in der Summe auch jede Menge bereits vorhandener Weine des Jahrgangs 1899 inklusive waren. Sicher ist auch, dass erstens der Verkäufer, ein gewisser Peter Kunz, anschliessend ein sehr wohlhabender Mann war, und dass zweitens fortan der Ruhm der Lage tüchtig vermehrt wurde.

Deinhard machte den eh schon bekannten Doctorwein im In- und Ausland zum Inbegriff des Moselrieslings, platzierte ihn auf den Karten nicht nur der Berliner Spitzengastronomie. Auch in den renommierten Hotels von Paris, London und anderen Metropolen fand man ihn, bevor der Erste Weltkrieg die Preise verdarb.

Das Weingut Wegeler betrachtete die Investition dennoch als langfristig und besitzt auch heute noch den grössten Anteil: etwa 1,1 von heute insgesamt 3,26 Hektar. Die weiteren Parzellen werden von den beiden Thanisch-Weingütern, dem Weingut Lauerburg und – ein sehr kleiner Teil – dem Weingut Reichsgraf von Kesselstatt bewirtschaftet. Die Heilig-Geist-Stiftung, Besitzer einer erklecklichen Fläche, baut den Wein nicht selbst aus.

Doctor als Zugpferd

Die Pforten zum Bernkasteler Doctorkeller
Die Pforten zum Bernkasteler Doctorkeller

Dass es bald auch Doctorweine aus den Weingütern Schloss Lieser und Markus Molitor geben wird, hat nichts mit weiteren Verkäufen zu tun, sondern eher mit Neugier.

Doctorweine dienten immer noch als Türöffner, vor allem im Ausland. Molitor und Schloss-Lieser-Chef Thomas Haag griffen also vor wenigen Monaten bei der Heilig-Geist-Stiftung zu, müssen aber ihr Engagement zeitlich eingrenzen.

Nur zehn Jahre lang gilt der Pachtvertrag, dann wird neu ausgeschrieben. Dass solche Auktionen überhaupt möglich sind, dass sich der Ruf der Lage über Jahrhunderte gehalten hat, ist auch einem absurd anmutenden Streit vor viereinhalb Jahrzehnten zuzuschreiben. Damals sollte, im Rahmen des neuen deutschen Weingesetzes, die Lage Doctor aufgebläht werden: von knapp 1,4 Hektar aufs Drei-, nach Meinung mancher sogar das Zehnfache.

Dutzende von Winzern sollten damals beteiligt werden am guten Ruf des Doctors, der Selbigen aber infolge der drastischen Erweiterung rasch eingebüsst hätte. Die Eigentümer wehrten sich energisch und erhielten Recht: Ihr Doctor blieb klein und fein, auch wenn er durch einige wenige benachbarte Flächen behutsam erweitert wurde.

Steil und warm

Die klimatischen Besonderheiten der Lage sind unstrittig. Eine steile Süd-Südwestlage mit 60 bis 65 Grad Hangneigung, dazu verwitterte Tonschieferböden und der Schutz durch benachbarte Weinberge und das Dorf: Noch im 20. Jahrhundert machten sich die Vorzüge bemerkbar. Wenn anderswo an der Mosel noch bergeweise Schnee lag, war er hier schon längst weggetaut.

Selbst in vielen kleinen Jahrgängen der 1950er oder 1960er reiften die Trauben aus, in guten wurden Rekorde verzeichnet. Dass der 1959er hier die magische 300-Grad-Öchsle-Grenze knackte, wurde belegt.

Inzwischen allerdings ist Wärme nur noch selten das Problem an der Mosel, kalte und nasse Jahre, wie sie noch in den Achtzigern vorkamen, sind wohl fürs erste passé, warme und niederschlagsarme dürften zunehmen. 2015 wurde dies besonders deutlich, als die Trockenheit auch manchen älteren Moselreben zu schaffen machte.

Doch auch wenn andere Lagen längst ebenso gute Weine liefern können, wenn manche Weingüter noch höhere Ambitionen an den Tag legen als der eine oder andere Teilhaber am Doctor: Der Ruf der Lage wird so schnell nicht schwinden, und weil die Reben alt sind und die Winzer besondere Sorgfalt walten lassen, sind Doctorweine tatsächlich oft hochklassig.

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Wer sich einen ersten Eindruck verschaffen möchte von der Qualität der Doctorweine, kaufe am besten zunächst eine Flasche Auslese aus dem Weingut Lauerburg. Das Geschäft des Winzers befindet sich ganz vorn, am Eingang zur Altstadt von Bernkastel. Mögen die Weine auch etwas rustikal wirken und nicht die Finesse der Wegeler- oder Thanisch-Vertreter besitzen, bringen sie doch die legendäre Saftigkeit der Doctorweine gut zum Ausdruck.

Eine reiche Auswahl an flüssigen Doctoren böte anschliessend auch das Restaurant Doctor Weinstube. Von dessen Küche indes sollte man keine Wunderdinge erwarten: Bernkastel ist halt nicht nur eine legendäre Weinbaugemeinde, sondern auch ein Touristenort.

Weine aus dem Bernkasteler Doctor

2014 Grosses Gewächs trocken, Weingut Wegeler: sehr feine, klare Frucht, saftig, zeigt Schmelz und kräuterige Würze im Nachhall, grosser trockener Riesling. 92 Punkte

2014 Auslese, Weingut Wwe. Thanisch – Erben Müller-Burggraef: klar, sehr präsente Frucht, fast rassiger Eindruck, bestens balanciert. 92 Punkte

2012er Kabinett, Weingut Wwe. Thanisch – Erben Thanisch: duftig, verspielt, Kräuterwürze, Süsse-Säure-Spiel, sehr fein und elegant. 90 Punkte

2009 Riesling Auslese, Weingut Wwe. Thanisch – Erben Thanisch: reife, fast üppige Nase, Apfel, Steinobst, Orange und Kräuter, saftige Frucht, nicht übertrieben viel Zucker. 92 Punkte

2004 Kabinett, Weingut Wwe. Thanisch – Erben Thanisch: duftig, schiefrig, Kräuter, Zitrus, sehr fein, balanciert, präzise, noch Potenzial. 89 Punkte

2003 Trockenbeerenauslese, Weingut Wwe. Thanisch – Erben Müller-Burggraef: üppig, komplex, kandierte Früchte, aber alles andere als eindimensional, sehr dicht, mit würzigem Nachhall. 95 Punkte

2003 Trockenbeerenauslese, Weingut Wwe. Thanisch – Erben Thanisch: reife Aprikosenfrucht, leicht cremig, auch kandierte Früchte und Kräuter, samtig, dicht, sehr lang, Potenzial für viele Jahrzehnte. 96 Punkte

1993 Auslese, Weingut Lauerburg: gereifte Nase, Kräuter, Zitrusschale, saftig und lang, Kräuterwürze, etwas rustikal, aber sehr präsent. 89 Punkte

Doctorweine und ihre Erzeuger

Weingut Wegeler, www.wegeler.com
Weingut Wwe. Dr. H. Thanisch – Erben Thanisch, www.thanisch.com
Weingut Wwe. Dr. H. Thanisch – Erben Müller-Burggraef, www.dr-thanisch.de
Weingut Lauerburg
Weingut Reichsgraf von Kesselstatt, www.kesselstatt.com
ab 2016: Weingut Markus Molitor, www.markusmolitor.com
ab 2016: Weingut Schloss Lieser, www.weingut-schloss-lieser.de

Über den Autor

Wolfgang Faßbender ist seit 25 Jahren als freier Journalist in den Bereichen Wein und Gastronomie tätig. Der gebürtige Leverkusener hat mehr als 80 Bücher geschrieben oder herausgegeben, arbeitet für viele Zeitschriften und mehrere Zeitungen, testet sich als Restaurantkritiker durch die Welt.

Er pendelt zwischen seinen Wohnsitzen im Rheinland und Zürich.

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