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So langsam wird es wirklich ernst

So langsam wird es wirklich ernst
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… schießt es mir durch den Kopf, als ich den Laptop aufklappe, um diesen neuen Artikel zu verfassen. Meine Finger wandern erst zu dem Glas Federweißer, welches zum Einstimmen neben mir steht, bevor sie wieder zur Tastatur zurückkehren.

Dabei fällt mir auf, dass es wohl bereits der letzte Federweiße für dieses Jahr sein wird. Kaum zu glauben, dass die Lese Mitte Oktober schon abgeschlossen ist. Vor genau einem Jahr schlich ich um diese Zeit noch täglich um meine Trauben herum und musste mich selbst daran erinnern, dass die goldgelben Beeren zu schade seien, um schon vor der Lese meines ersten eigenen Weines genascht zu werden.

Die vergangenen Artikel beschrieben meinen Weg als Quereinsteigerin von der Weinkönigin zur Jungwinzerin und dem eigenen Weingut. Auf www.sarah-hulten-weine.de kann nachgelesen werden, wie und warum ich einen brachliegenden Weinberg kaufte, der nun mithilfe eines Crowdfundings rekultiviert werden soll.

Den ersten eigenen Riesling, den es als Dankeschön für diejenigen geben wird, die das Crowdfunging-Projekt unterstützen, ermöglichte mir mein Vermieter und Mentor Peter Selt, der mir 2016 ein Jahr lang einen Teil seines Weinberges zur Verfügung stellte und mir seit meinem Umzug auf das Weingut in Leutesdorf geduldig alles beibringt.

Ein lehrreiches Weinjahr

2017 ist ein Jahr, in dem die Trauben viel Fürsorge benötigten. Nach der ungewohnt frühen und teilweise nervenstrapazierenden Lese konnten jedoch tolle Qualitäten in die Keller gebracht werden. Lediglich die Erträge liegen am Mittelrhein leider deutlich unter dem Durchschnitt. Es war und ist dennoch ein hoch interessantes Jahr, das mich sehr viel lehrt.

Neben dem eigentlichen Vollzeitjob, der sich nicht um Wein dreht, beschäftigt mich in der Freizeit weiterhin der Ausbau meines Weinwissens. Es handelt sich dabei um eine Art Selbststudium, das immer wieder in Gesprächen mit den Winzerkollegen geprüft wird. Als Lektüre dient unter anderem der „Troost“ von 1988, wie die „Bibel des Weinbaus“ nach ihrem Autor unter Weinbaustudenten umgangssprachlich abgekürzt wird.

Er ist die wissenschaftliche und theoretische Vorbereitung für die jeweils im Weingut anstehenden, praktischen Aufgaben. Das Augenmerk liegt dabei immer darauf, moderne Fachliteratur und Praktisches mit dem althergebrachten Wissen zu vergleichen.

All dieses Lernen dient der Vorbereitung, um in ein paar Jahren eigenständig den Wein aus dem ganz eigenen, neuen Weinberg herzustellen. Aber bleiben wir erst einmal in der Gegenwart: Viele Hürden waren zu nehmen, bis ich die gewünschte Weinbergsfläche kaufen und dann loslegen konnte.

Das Ziel der möglichst biologischen Bewirtschaftung der 40 Jahre lang brachgefallenen und wuchernden Terrassenlagen ist dabei keine Leichtigkeit. Wenn mein Mann Fabian weiterhin so hochmotiviert hilft, ist es absehbar, dass im Frühjahr 2018 rund 675 Quadratmeter Fläche fertig zur Neupflanzung sein werden.

Allerdings wird uns eine der Trockenmauern bis dahin noch ein wenig Kopfzerbrechen und viel Arbeit bereiten. Kirschbäume und Büsche auf der zweiten Terrasse hatten leider die Mauer zur unteren Ebene stark in Mitleidenschaft gezogen. Glücklicherweise habe ich bereits im Frühjahr gelernt, wie Trockenmauern gebaut werden. Mit dem Rat eines erfahrenen Winzers wird es schon klappen.

Tradition trifft Moderne

Die Freizeit im September war geprägt durch die Koordination, Vorbereitung und Arbeit für das Leutesdorfer Winzerfest sowie durch einige Verkostungen und Weinproben – ein klassischer Wein-Herbst eben. Dazu kam die Auswahl der neuen Weinreben bei der Rebveredelung Antes.

Meine ehemalige Königinnen-Kollegin Anja und deren Vater nahmen sich sehr viel Zeit, um die zahlreichen Fragen zu beantworten, die sich aus dem Studium der Tabellen mit analytischen Daten der möglichen Rieslingklone ergaben. Ich begann mit der verborgenen Hälfte des Weinberges – der Unterlagsrebe.

Die Auswahl der reblausresistenten Wurzel gestaltete sich einfach. Sie ist schlichtweg an den Boden im Weinberg angepasst. Doch der Klon, der darauf aufgepfropft wird, ist wesentlicher Teil meiner Strategieplanung.

Für den Laien gibt es auf den ersten Blick unglaublich viele Klone, die alle mit Buchstaben und Zahlen benannt sind. „Gm“ steht dabei für die Forschungsanstalt Geisenheim. Von 24 bis 365 ist nahezu alles dabei. Wer sich damit beschäftigt, wird allerdings herausfinden, dass die Klone in Gruppen eingeteilt sind. Ein Klon aus der Reihe der 198er wäre ein Klassiker, den viele Winzer im Umkreis wählen, doch es sollte etwas Besonderes werden.

Es hätte Charme gehabt, herauszufinden, was es mit den wenigen, mindestens 75 Jahre alten Reben auf sich hat, die ich auf meinem Grundstück wiederentdeckte. Doch ich musste akzeptieren, dass es fast zwei Jahrzehnte dauern würde, den Weinberg wieder mit dem eigenen alten Genmaterial zu bepflanzen, falls dieses überhaupt brauchbar wäre.

Alternativ wurde somit die Klongruppe der 300er Reben interessant. Es handelt sich dabei um Rieslingreben, die Klone aus alten Rebbeständen sind. Ich entschied mich für einen Klon, der seinen Ursprung in einem 1896 gepflanzten Weinberg an der Mosel hat. Wenn ich schon bewusst eine sehr alte und nicht flurbereinigte Weinbergsterrasse rekultiviere, warum dann nicht mit erhaltenswertem, alten Genmaterial?

In der Theorie bilden diese Reben recht kleine Beeren aus, bei denen das gute Verhältnis von Frucht zur Schale Hoffnung auf mehr Aroma macht. Zudem ist der Gedanke irgendwie schön, dass ich als gebürtige Koblenzerin – und somit als Kind von Rhein und Mosel – nun die alten Mosel-Klone in meinen Weinberg am Mittelrhein bringe.

Überraschungen

Neben der Bestellung der Weinreben gehen auch die weiteren Arbeiten voran. Das Design der Etiketten erhält derzeit den Feinschliff. Die Druckerei Ellerhold, welche nicht nur die selection-Medaillen herstellt, sondern liebenswerterweise auch meine ersten Etiketten sponsert, schickte bereits Papierproben zu meiner Kommunikationsdesignerin Mathilda Mutant.

So langsam wird es tatsächlich ernst. Mit jedem Blatt, das sich im Herbst golden färbt, rinnt die Zeit dahin. Auch die Arbeiten für die eigene Webseite und das Vorstellungsvideo, in dem mein Crowdfunding-Projekt vorgestellt wird, laufen unter Hochdruck. Es ist bei allem Zeitdruck toll zu wissen, dass ich von Menschen umgeben bin, die mein Engagement schätzen und mich unterstützen.

Dazu zählen die vielen Rheinsteig-Wanderer und Begegnungen, aus deren Reihen auch die Ingenieursstudentin Wiebke kam. Wissbegierig und voller Elan half sie beim Leseabschluss des Weinguts Selt und packte am folgenden Tag auch in meinem Weinberg mit an. Weiterhin folgen zahlreiche Zusprüche und Einladungen aus der Weinwelt in Deutschland, Finnland und sogar Australien.

Auch Anfragen bekannter Weinhändler sind darunter. Für Letztere würde bislang allerdings die nötige Menge Wein fehlen, da ich dieses Jahr aufgrund der geringen Erntemengen keinen eigenen Wein haben werde. Die Qualität und Authentizität sollen oberste Maxime bleiben.

Die wohl überraschendste Unterstützung kam Ende August aus den Reihen der mittelrheinischen Winzer. In den vergangenen zwei Jahren setzte ich mich auch neben und nach dem Amt als Weinkönigin immer für den Weinbau und dessen Marketing in der Region ein. Das Interesse und Pflichtbewusstsein führten mich daher zur Mitgliederversammlung des Mittelrhein-Wein e.V.

Nicht zuletzt, um meine Stimme bei den Neuwahlen des Vorstandes abzugeben. In keiner Sekunde hatte ich geahnt, dass ich selbst als Vorstandsmitglied berufen und gewählt werden würde. Es ist mir eine außerordentliche Ehre, als junge Quereinsteigerin nun dieses Vertrauen genießen zu dürfen.

In den kommenden drei Jahren stehen elementare Themen und Veränderungen an, denen gerne mein ganzes ehrenamtliches Engagement gilt. Die Überraschung, die Chefredakteur Wolfgang Hubert mir anschließend bei der Verkostung im September überreichte, machte das spontane Glück perfekt: Das Titelbild der selection.

All diese lieben Worte, Gesten und Taten, motivieren mich nachhaltig, meinen Traum vom eigenen Weingut in die Tat umzusetzen. Danke dafür an alle! Es bleibt zu hoffen, dass bereits im nächsten Artikel von dem erfolgten Crowdfunding berichtet werden kann. So langsam wird es wirklich ernst.

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